Ein Mann auf dem Bahnsteig, der fragend vor der Anzeige des Zuges steht. Eine Plastiktüte, die im Gras liegt. Onkel Hans, der schon wieder gegen Ausländer wettert. Angenehm sind all diese Situationen nicht. Doch sie haben eines gemeinsam: Du kannst durch Zivilcourage etwas verändern. Du kannst den Ausgang dieser Situationen umschreiben.
„Zivilcourage“, diese Wortzusammensetzung aus dem Lateinischen und Französischen wirkt auf den ersten Blick unverständlich. Was bitte soll das bedeuten? Und weil es auch gar nicht so einfach zu erklären ist, sollen hier ein paar Beispiele folgen, die zeigen wie Zivilcourage aussehen kann.
Zuerst aber einmal ein Versuch, Zivilcourage doch noch mit Worten zu beschreiben. Wörtlich übersetzt bedeutet Zivilcourage soviel wie bürgerlicher Mut (Civis, lat. Bürger; Courage, franz. Mut). Generell beschreibt das dort also Handlungen oder Aussagen, die öffentlich getätigt werden und Überwindung kosten. Wenn man also nicht dem Gruppenzwang folgt und schweigend nichts tut, sondern sich traut, seiner eigenen Meinung und seinem eigenen Gewissen zu folgen.
Beispiel 1: Der Mann auf dem Bahnsteig.
Immer noch gibt es in Deutschland viele Menschen, die nicht lesen können, sogenannte Analphabeten. Sie sind in vielen Bereichen des Lebens aufgeschmissen: Die Anzeige am Bahnsteig, das Straßenschild, ein Hinweisplakat. Doch du kannst ihnen helfen. In dem du ihnen erklärst, was dort steht. Manchmal wirst du vielleicht sogar gefragt, ob das der Zug nach Augsburg sei. Begnüge dich nicht mit einem einfachen „Nein“, sondern erkläre deinem Gegenüber, dass der Zug nach Augsburg auf dem Gleis gegenüber fährt. Wenn du siehst, dass eine Person Probleme hat, etwas zu lesen, dann sprich sie doch von dir aus an und frage, ob du helfen kannst oder frage „Wohin müssen Sie denn?“
Übrigens: Dieses Problem haben nicht nur Analphabeten sondern auch Menschen, die eine andere Sprache sprechen. Vom französischen Geschäftsmann bis zum syrischen Flüchtling.
Beispiel 2: Die Plastiktüte am Straßenrand
Zivilcourage bedeutet, sich etwas zu trauen. Und nicht dem zu folgen, was alle machen. Wenn also 30 Leute an herumliegendem Müll vorbeigehen, dann sei du der Erste, der sich bückt und ihn aufhebt. Denn auch das ist Zivilcourage: Mut zeigen, der Umwelt etwas Gutes tun und sich selbst danach auch noch gut fühlen.
Beispiel 3: Hetze im Wirtshaus und auf der Straße
So stellen sich viele Menschen wohl Zivilcourage vor: Mutig mit Wort und Tat unsere demokratischen Werte verteidigen. Wenn du mitbekommst, dass jemand auf „die Ausländer“ schimpft, andere beleidigt oder gar davon spricht, dass „unter Hitler alles besser war“, dann schlägt deine Stunde als mutige*r Bürger*in. Kennst du die Person, die da Hetze verbreitet nicht gut, ist es oft schwer, ihr zu widersprechen. Am einfachsten: Nicht mitmachen bei Hetzte und Geschimpfe. Wenn du dich weigerst diese Ansichten zu unterstützen ist das schon ein erster, mutiger Schritt.
Falls du den Hetzer oder die Hetzerin allerdings besser kennst oder dich traust, widersprich ihr/ihm aktiv. Am einfachsten ist es, sachlich zu bleiben und ein paar Beispiele und Argumente zu nennen, warum es etwa unter Hitler nicht besser war oder „die Ausländer“ nicht an allem Schuld sind. Und selbst wenn du deinen Gegenüber höchstwahrscheinlich nicht von seiner Meinung abbringen wirst, so kannst du vielleicht doch die Umstehenden überzeugen.
Beispiel 4: Taten folgen lassen und in Notfällen eingreifen
Die Königsdisziplin: Handeln, wenn niemand handelt. Helfen, wenn niemand hilft.
In deinem Alltag begegnen dir des Öfteren Notfälle und du triffst auf Personen, die deine Hilfe benötigen. Manchmal hat eine Frau in der S-Bahn einen Schwächeanfall und kippt plötzlich um. Manchmal fällt ein Junge von seinem Fahrrad und verletzt sich. Manchmal werden Passant*innen von Raufbolden bedroht. Und meistens reagieren die vorbeikommenden Menschen… gar nicht. Durch den sogenannten Bystander Effekt bleiben wir im ersten Moment untätig, schließlich macht ja keiner der umstehenden Menschen etwas. Und diese Starre gilt es zu überwinden. Sobald die erste Person sich niederkniet, um dem verletzten Jungen gut zuzureden, werden andere folgen, ein Pflaster hervorkramen, den Arzt rufen… Sobald du dich zu der Frau mit Schwächeanfall hinabbeugst, werden die anderen folgen, den S-Bahnfahrer informieren, erste Hilfe leisten…
Im dritten Fall mit den Raufbolden ist allerdings Vorsicht geboten. Wenn viele Menschen um dich herum sind und du dich stark fühlst, dann sprich die Raufbolde direkt an. Die anderen Personen werden dir helfen. Bist du allein und unterlegen, könntest du dir diesen Schritt noch einmal überlegen.
Das Leben schreibt sein eigenes Buch und so wirst du vielleicht nie in eine der obige Situationen geraten. Doch vielleicht wirst du plötzlich einer ähnlichen Herausforderung gegenüberstehen und dann weißt du, wie zu handeln ist. Denn mit Zivilcourage kannst du das Lebensbuch von Hilfsbedürftigen, dir selbst und sogar ganzen Gesellschaften umschreiben