Tagebuch

Adventskalender: Die besten Kurzgeschichten und co.

Geschrieben von Schüler*innen des RMG, stellen wir sie euch an jedem Schultag im Dezember vor: Die besten Kurzgeschichten, Gedichte und co.


Weihnachten im Kuhstall

Weihnachtsabend. Nach dem Essen und der Bescherung sitzen die Erwachsenen noch in der Stube, die jüngeren Kinder sind schon im Bett verschwunden. Leise schleicht der kleine Georg aus dem Wohnzimmer in den Flur, doch die Erwachsenen sind so in ihr Gespräch vertieft, dass sie es gar nicht bemerken. Vorsichtig tastet er sich im dunklen Flur voran, bis er das kalte Metall der Haustürklinke unter seinen Fingern spürt. Behutsam öffnet er die Tür und huscht hinaus in die kalte, aber sternklare Dezembernacht. Die Sternen strahlen vom Himmel und der Atem des Jungen bildet Wolken in dervor Kälte klirrenden Luft. Frierend eilt er über den Hofauf den Kuhstall zu. Der obere Teil des Tors steht offen. Aber Georg verharrt davor, vorsichtig schiebt er seinen Kopf über das Holz und lauscht. Dann schwingt er sich über die Tür und steht im Kuhstall. Hier zwischen den wärmenden Leibern der Kühe ist es gleich viel wärmer und Georg atmet erleichtert auf. Er geht tiefer in den Kuhstall hinein, bleibt stehen, lauscht wieder angestrengt, aber außer dem Schnaufen der Kühe und dem Rascheln des Strohs ist nichts zu hören. „Kannst du vergessen, die sprechen nicht“, lässt sich plötzlich eine Stimme aus der Dunkelheit vernehmen. Erschrocken dreht sich der Junge um und sieht Sonja, das Mädchen vom Nachbarhof, von einem Heuballen, der in der Ecke liegt, hinabrutschen.

„Bei uns drüben ist es das Gleiche“, schiebt sie enttäuscht hinterher. Georg atmet erleichtert auf, kein Weihnachtsgeist sondern nur Sonja ist ihm erschienen. „Aber an Heiligabend, in der Nacht, können doch alle Tiere sprechen“, entgegnet er fast schon trotzig. Sonja seufzt auf: „ Das ist es ja! Ich frage mich dasselbe.“ „Vielleicht haben wir die Tiere ja irgendwie verärgert?“, vermutet Georg. Inzwischen stehen sie beide in der Stallgasse dicht nebeneinander. Ratlos sieht Sonja auf die dunklen Umrisse der schlafenden Kühe“ Ja, das ist wohl die Lösung“

„Nein, ihr habt uns nicht verärgert“, tönt es plötzlich aus dem Nirgendwo. Die beiden Kinder erstarren und schauen sich verängstigt an. „Nein, ihr nicht“ ,spricht die seltsame Stimme weiter.

„W..Wer spricht denn da?“ Georg bringt den Mut auf, diese Frage zu stellen. „Das sind doch bloß wir Kühe“, antwortet eine neue, tiefere Stimme. Da bricht es aus Sonja heraus: „Ihr könnt ja doch sprechen!“ LeisesLachen ist aus Richtung der Kühe zu vernehmen. „Natürlich können wir an Heiligabend sprechen, dass weiß doch jeder!“ „Und warum nur an Heiligabend? Und warum habt Ihr bis eben kein Wort gesagt?“ die Fragen der Kinder quellen schier unerschöpflich aus ihren Mündern hervor. „Das ist eine längere Geschichte. Wollt ihr sie hören?“ Mit glänzenden Augen nicken die beiden Kinder. „Also“, beginnt die Kuh, „Gott, der Herr, hat hier, wie bei Allem in seiner Schöpfung, sehr klug und umsichtig gehandelt. Könnten wir jeden Tag im Jahr sprechen, würden wir uns immer über die Menschen ärgern und ihnen Vorwürfe machen, weil sie uns Tiere schlecht behandeln. Aber an Weihnachten ist es uns erlaubt zu sprechen, denn es ist das Fest der Liebe und in der heutigen Nacht verzeihen wir den Menschen alles, was sie uns das Jahr über angetan haben.“ „Oh, das haben wir nicht gewusst, wir entschuldigen uns für unser Verhalten.“ Betroffen blicken sich die menschlichen Zuhörer an. Erst stellt sich heraus, dass die Tiere an Heiligabend doch sprechen können und dann dieser unschöne Grund dafür. „Ihr müsst euch nicht entschuldigen“, hört man die Stimme einer Kuh aus der Ecke „Ihr Kinder seid immer nett zu uns, die Erwachsenen sind es, die ihr Handeln überdenken müssen.“ „Könnt nur ihr sprechen oder alle Tiere?“ Georg hat noch so viele Fragen. Da dringt der Schlag der Kirchturmuhr durch die Nacht und Ruhe kehrt im Kuhstall ein. Sonja und Georg warten. Und warten. Aber die Kühe bleiben stumm. „Sie können wohl wirklich nur an Weihnachten sprechen“, stellt Sonja enttäuscht fest. Da hört man auch schon die Stimme von Georgs Mutter über den dunklen Hof schallen: „Georg, wo steckst du? Die Christmette hat schon angefangen. Wir müssen uns beeilen!“ 

„ Oh, verd…. Meine Eltern werden bestimmt auch auf mich warten. Aber ich bin trotzdem froh, hier gewesen zu sein. Die Tiere können wirklich sprechen! Und ich weiß, dass ich auch als Erwachsene immer freundlich zu allen Tieren sein werde.“ Sonja lässt noch ein letztes mal den Blick über den nun so stillen Kuhstall schweifen, dann winkt sie Georg ein letztes Mal zu und verschwindet in Richtung Nachbarhof. Auch Georg dreht sich um und verlässt das Gebäude. Glücklich tritt er hinaus in die wunderschönen Weihnachtsnacht, die noch vor ihm liegt.